Ich war sieben Wochen auf der Station 1 der HWK II und bin insgesamt gut zufrieden mit meinem Aufenthalt und den Dingen, die ich für mich habe erarbeiten und erreichen können.
Nach langjähriger Therapieerfahrung und zwei zurückliegenden Klinikaufenthalten kam ich insgeamt stabil, wenn auch aktuell überarbeitet, mit wenigen spezifischen Anliegen, an denen ich gezielt arbeiten wollte. Erfreulicherweise konnte ich erleben, dass man auf meine Bedürfnisse individuell einging und mich da abholte, wo ich gerade stand. Sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie bekam ich wertvolle Anregungen und Impulse, wurde als ganzer Mensch geachtet und fühlte mich wertgeschätzt.
Dies galt auch besonders für die Ernährungsberatung, die mir als stark adipöser Patientin verordnet wurde, und mit der ich in einer anderen Rehaklinik negative Erfahrungen gemacht hatte: Auch hier wurde auf meinen individuellen Stand eingegangen - die Ernährungspyramide und den Nährwert der einzelnen Nahrungsmittel kenne ich z.B. zu Genüge - und in einfühlsamen Gesprächen ohne jeden Druck konnte ich weitere Handlungsschritte erarbeiten.
Druck gab es für adipöse PatientInnen auch nicht bei der Wahl des Essens: Es gibt keine Reduktionskost, es sei denn auf ausdrückliche Bitte seitens des Patienen; es gibt Unterstützungsangebote wie Begleitung am Buffet. Aber insgesamt wird sehr großer Wert auf die Eigenverantwortlichkeit des und der Einzelnen gelegt.
Dies gilt auch für die Zusammenstellung des Wochenprogramms: Neben den vorgegebenen Pflichtveranstaltungen der jeweiligen Gruppentherapien und der Entspannungsübung PMR musste und durfte mensch sich sein Programm aus dem reichhaltigen Angebot selbst zusammenstellen - von Meditiation über diverse Sportangebote, kreative Freizeitgestaltung, Vorträge (Ernährung, Depressionen, innere Erkrankungen/ Schmerzen, arbeitsspezifische Themen, Rückenschule) und individuelle Freizeitangebote war für jeden etwas dabei. Man konnte Dinge ausprobieren, dabei bleiben oder auch sagen: Oh nee, danke, das liegt mir dann doch nicht.....
Für mich mit meiner Lebensgeschichte von überstarker Kontrolle und Abwertung in der Kindheit war diese Stärkung der Eigenverantwortlichkeit heilsam und genau das Richtige. Es gab allerdings auch Patienten, die sich mehr Vorgaben gewünscht hätten und mit dem Prozedere, sich alles selbst auszusuchen, unzufrieden waren.
Eigenverantwortlichkeit ist dann auch in der Terminierung gefragt, die sich nicht mit den Gruppentherapien überschneiden dürfen, wofür mensch selbst zu sorgen hat, ob es nun um ärztliche Gespräche, Einzeltherapietermine, Sozial- und Ernährungsberatung, Ergo- und Pyhsiotherapie und ähnliches mehr geht. Für alles gibt es Termine, um sich einen Termin zu holen, z.B. von 8:35 bis 8:50... Ist manchmal stressig, spiegelt aber das Leben draußen wieder.
Und das ist genau der Punkt, auf den es bei einer REHA-Klinik ankommt, und der meines Erachtens von vielen nicht beachtet wird, was einige der doch sehr negativen Kritiken hier widerspiegeln:
Es ist, wie ein Vorposter hier schon ganz richtig schrieb, eine REHA-Klinik! Der Schwerpunkt dort ist NICHT die Gesundung von einer - in diesem Fall - psychischen / psychosomatischen Krankheit! Sondern die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bzw. ein Abwenden einer drohenden Arbeitsunfähigkeit. Der Schwerpunkt liegt nicht auf einem sehr behutsamen Umgang, bei dem den Patienten möglichst viel abgenommen wird, was negativ sein könnte. Das Ziel ist vielmehr der Aufbau bzw. das Stärken von Ressourcen - und eine in manchen Dingen eben recht realistische Spiegelung der Gegebenheiten "draußen". "Dort" muss mensch sein oder ihr Leben im direkten Anschluss ja auch regeln; muss den Alltag strukturieren, verschiedene Dinge terminlich unter einen Hut kriegen, sich Zeiträume für Sport und anderes schaffen. Und muss mit Widrigkeiten und Enttäuschungen klar kommen.
Und die gibt es auch im Klinikalltag: Da fahren Therapeuten und Ärzte doch tatsächlich gemeinerweise genau während meines Aufenthaltes in Urlaub und müssen vertreten werden! Und die Vertretung ist dann vielleicht nicht ganz so engagiert und aufmerksam wie der / die StammtherapeutIn! Da klappen Dinge terminlich halt nun mal nicht so, wie mensch das gerne hätte. Etc. etc. Und schon sieht man die Klinik in negativem Licht.
(Wo steht eigentlich geschrieben, dass mensch einen Anspruch darauf hat, dass die Reha genau nach Wunsch und optimal für einen verläuft?)
Auch für mich waren manche Dinge halt suboptimal: Die Vertretung meiner Ärztin und Therapeutin ist quasi nur auf Zuruf tätig geworden. So wurde eine vernünftige Einstellung auf meinen weiterhin zu hohen Blutdruck erst in der letzten Woche vorgenommen, als meine Stammärztin nach drei Wochen Urlaub wieder da war. Andererseits - ich hatte bis dato ja schon mitgekriegt, dass Eigenverantwortlichkeit erwünscht war. Was mich davon abgehalten hat, dem Vertretungsdoc mal diesbezüglich auf die Zehen zu treten, kann ich im Nachhinein nicht sagen. Sicher, ich hätte mir gewünscht, er hätte es von sich aus angesprochen, und es wäre aus meiner Sicht auch seine Aufgabe gewesen. Aber ganz aus der Verantwortung kann ich mich halt auch nicht stehlen.
Der größte Wermutstropfen war für mich die Lehrerburnoutgruppe, wegen der ich mir die Klinik zum Teil auch explizit ausgesucht hatte. Ich hatte und habe auf Grund von Kindheitstraumata gewisse Schwierigkeiten in meinem Beruf und wollte schwerpunktmäßig an Strategien arbeiten, wie ich damit einen besseren Umgang erzielen kann. Nun war und ist der Therapeut der analytischen Therapie verhaftet; es gab Erklärungsmodelle über die Ursache meiner Schwierigkeiten - professionell und absolut zutreffend! Nur waren mir diese durch meine ambulanten Therapien hinreichend bekannt. Auf meine wiederholten Fragen, was ich denn nun aber mit diesem Erkenntnissen machen bzw. wie ich von dort aus anders weitergehen kann gab es leider keine Anregungen von ihm. Die Frage wurde statt dessen ins Plenum der Lehrergruppe gegeben; der Lösungsvorschlag einer Kollegin war auf der Ebene der Schule angesiedelt - was kann das Gesamtkollegium bei Disziplinschwierigkeiten tun, wie stellt man das Schulprogramm entsprechend an - was inhaltlich sicherlich gut war. ICH wollte und brauchte für mich aber erstmal individuelle Lösungsschritte, weil einige der Ursachen eben in meiner Vita zu finden sind.
So stand ich vor der Situation, dass ich in dieser Gruppe nicht wie erhofft die entscheidenden Impulse bekommen habe. Eine herbe Enttäuschung für mich, mit der es erstmal klarzukommen galt. Meine Erwartungen und Hoffnungen wurden nicht erfüllt. ABER ist das dann direkt die "Schuld" der Klinik, ist sie deswegen gleich schlecht? Wohl kaum! Ich hatte gelesen, dass es diese Gruppe gibt - und sofort alles mögliche hineinprojeziert. Ich denke schon, dass mehr konkrete Lösungsansätze von Seiten des Therapeuten hätten kommen müssen. Aber ich habe auch die Bemerkung der Mitpatientin noch gut im Ohr, die sagte: "Vielleicht ist eine Burnoutgruppe bei Deiner Traumathematik auch einfach der falsche Aktionsboden...."
Dies nur dazu, dass es nicht zwangsläufig die Klinik schuld ist, wenn individuelle Erwartungen und feste Vorstellungen, die mensch im Vorhinein getroffen sind, nicht erfüllt werden. Ich bewerte meinen Aufenthalt trotz dieser Enttäusschung insgesamt als positiv, weil ich die entscheidenden Impulse in anderen Therapien bekommen habe. (Und vielleicht auch, weil ich darüber zu reflektieren in der Lage bin...?)
Mein abschließender Appell: Es ist eine Klinik, in der mensch viel für sich erreichen kann - wenn er / sie in der Lage ist, mitzuarbeiten, mitzudenken, eigenverantwortlich zu handeln. Für jemanden, der noch nicht so sehr stabil ist, ist eine Reha-Klinik generell der falsche Ort. Eine Vorposterin hier schrieb beispielsweise, dass ein Einzelgespräch pro Woche bei schweren psychischen Erkrankungen lange nicht ausreicht, und dass die Klinik deswegen schlecht sei. Nur: erstens gibt es meines Wissens nirgendwo mehr als ein Einzelgespräch pro Woche, einfach weil die Kostenträger nicht mehr bezahlen ( war bei mir z.B. in der Akutpsychiatrie bei schwerer Depression auch nicht anders). Auch dies ist der Klinik nicht wirklich anzulasten. Und zweitens ist wie gesagt eine REHA-Klinik auch nicht der Ort für jemanden mit akuten schweren psychischen Erkrankungen.
Denn: In der HWK II läuft einem auch nicht das Pflegepersonal hinterher und fragt teilnahmsvoll, wie es einem denn ginge. Mensch muss schon von selber auf sie zugehen und sagen: "Mir geht's grade nicht gut, ich brauche ein Gespräch." Es ist ein sehr offener Rahmen dort, was für Menschen, denen es akut schlecht geht, nicht das Richtige ist.
Und mensch sollte sich vor allem im Vorhinein im Klaren sein, dass in einer REHA-Klinik die Bewertung der Arbeitsfähigkeit im Vordergrund steht; dass die Kostenträger, allen voran die DRV (ehemals BfA) feste Vorgaben machen, welcher Prozentsatz der Patienten als arbeitsfähig zu entlassen ist. Und dass diese Bewertung durchaus nicht immer mit dem eigenen Befinden im Einklang steht. Ich musst z.B. die Kröte schlucken, dass meine vorsichtige Anfrage ob einer eingeschränkten Berufsfähigkeit und damit verbunden einer Teilerwerbsunfähigkeitsrente rigoros schon zu Beginn der dritten Woche vom Oberarzt abgeschmettert wurde...
Ist einem dies klar und kann mensch damit ungehen, ist die HWK II - wie sicher viele andere Reha-Kliniken im Lande - ein hervorragend geeigneter Ort, um mal für ein paar Wochen aus der Tretmühle auszusteigen, zu sich zu kommen, an bestimmten Knackpunkten zu arbeiten und relativ gestärkt in den Alltag zurückzukehren und dann festzustellen, dass einige dort erarbeitete Dinge tatsächlich wirken und sich umsetzen lassen. Für andere empfiehlt sich vielleicht eher eine Krankenhausbehandlung in einer Fachklinik, ohne diesen Druck.
1 Kommentar
Hallo Martina, Ihr Kommentar hört sich vielversprechend an. Ich reise auch bald an. In einem anderen Kommentar wurde sich über einiges beschwert, unter anderem über die 3er Regelung. Was ist damit gemeint? Darf man die Klinik nicht alleine verlassen? Ich bin jetzt verunsichert und würde mich sehr über eine Antwort freuen.
Herzliche Grüße
Bella