Nach sechswöchentlichem nervenaufreibendem Aufenthalt in dieser Nervenheilanstalt wurde ich seitens des Fachpersonals immer noch angegraunzt: "Wenn es Ihnen jetzt immer noch nicht besser geht, dann ist das Ihre eigene Schuld!" Ich: "Aber natürlich, jetzt kommt wieder die Schuldfrage! Na klar, und ich bin ja auch am Ozonloch schuld! Sagen Sie mal, was erlauben Sie sich eigentlich?"
Wahrscheinlich geht kein Mensch gerne in ein Krankenhaus, schon gar nicht in ein Irrenhaus. Aber ich kann Ihnen jetzt auch verraten, warum es so heißt (das ist meine subjektive unmaßgebliche Auffassung, und wie wir später im Entlassungsbericht erfahren werden, leide ich unter Wahrnehumunsstörungen): gemäß meiner Erfahrung heißt es Irrenhaus, weil dort Irre arbeiten (Beispiel: eine Kindergärtnerin arbeitet in einem Kindergarten, ein Polizist auf einer Polizeiwache, ein Bäcker in einer Bäckerei…)
Auf diese Erfahrung hätte ich gut und gerne verzichten können. Es hat eine sehr sehr lange Zeit gedauert, bis ich mich von diesem unerfreulichen Aufenthalt erholt hatte (wie man sieht, kann derselbe Spätschäden verursachen), und heute – wo ich etwas klarer im Kopf bin – frage ich mich allen Ernstes, warum ich mir das angetan habe. Mag sein, dass ich vielleicht nicht der Typ bin, der sich gerne unterordnet. Mag auch sein, dass ich Ergebnisse lieber erreiche, indem ich selbst auf die Lösung komme, als sie mir vorkauen zu lassen. Mag auch sein, dass ich mich absolut nicht in eine Gruppe einfügen kann, weil ich besser alleine arbeite (das ist sogar eine absolute Voraussetzung, wenn man an die Spitze will!).
Aber ich lasse mir von niemandem sagen, nicht von meinem Boss, nicht von meinem Mann und ganz bestimmt nicht von meiner Oberärztin, was ich zu tun habe und was nicht. Und ich trinke dann, wenn ich Durst habe und nicht, weil es Punkt zwölf Uhr ist. Wissen Sie, wenn nicht einmal gut ausgebildetes Klinikpersonal den Unterschied zwischen hysterisch und sensitiv kennt, dann wage ich an der Qualität dieser Einrichtung zu zweifeln…
Gemäß Betriebsordnung sollen wir doch dazu erzogen und dafür trainiert werden, wieder selbständig in die Gesellschaft zurückkehren zu können. Wir sollen aus unserer Apathie herausgerissen werden und wieder aktiv am Leben teilnehmen können (Teilhabe am Arbeitsleben - welches Leben für welchen Menschen das Beste ist, das sollte jeder für sich selbst entscheiden dürfen, verdammt noch mal!).
Und wenn wir mal schon aus eigenem Antrieb – ich betone: aus eigenem – eine Freundin anrufen wollen, dann sollte uns das kein noch so hochqualifiziertes Fachpersonal verbieten dürfen. Wenn wir dann in einem der surrealen Vorträge hören, wie wichtig es doch sei, soziale Bande zu knüpfen (oder aufrechtzuerhalten), um nicht in Isolation zu enden, dann stellt sich doch die Frage, warum wir zehn Tage lang in Quarantäne gesteckt werden müssen? Sind wir ansteckend? Müssen wir geläutert werden? Nein danke, diese Krankheit ist Läuterung genug für zehn Menschenleben!
Und dann immer dieses Reden, immer nur Reden. Mann, mir wird schon ganz schlecht von diesem ganzen Reden. Als ob das was helfen würde! Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Tiefenpsychologie: Reden, immer nur Reden. Entschuldigung, aber eine Arthrose oder ein Magengeschwür kann man auch nicht mit einer kleinen intimen Gesprächsrunde (womöglich auch noch über die Kindheit) therapieren. Oder haben Sie etwa Bock auf Reden, wenn Sie gerade einen Migräneschub haben? Sehen Sie.
Schluss mit diesem ganzen Seelen-Striptease. Vertrauen Sie nicht darauf, sich fremden Menschen anvertrauen, denn die können Ihnen nicht helfen, geschweige denn wollen sie es. Kein Mensch muss sich verbal auskotzen, wenn er Hepatitis C hat. Kein Mensch. Warum also immer wir Betroffenen? Herrje, wenn ich das schon wieder höre! Betroffen! Ich bin nicht betroffen. Ich bin krank! Ich bin betroffen, dass so ein hirnloser machtgieriger Jäger, den sie hoffentlich dafür lynchen werden, den armen Bruno damals einfach so niedergeschossen hat. Ja, ich bin sogar sehr betroffen darüber, dass dieser nette Bär einfach so ermordet wurde. Das hat mich betroffen gemacht im Sinne von ›berührt‹.
Nun ist das ja an sich schon traurig genug, den ersten Bären, der nach 170 Jahren erstmals wieder in unserem schönen Bayernland auftaucht, glatt nieder zu meucheln, aber eine so schwierige Grundpersönlichkeit wie ich nimmt das schnell einmal sehr persönlich. Ich bin betroffen. Also im Sinne von betrübt. Ja, diese grauenhafte Ignoranz von uns Menschen hat mich wirklich sehr deprimiert. Ich bin deprimiert. Aber deswegen bin ich noch lange nicht depressiv (im Sinne von krank).
Zurück zum Reden: wenn Sie gerade einen kleinen Schlaganfall hatten, hilft es da, zu reden? Wenn Sie gerade eine kleine akute Dekompensation hatten, hilft es da, zu reden? Also mir hilft da Reden nichts. Rein gar nichts. Man kann eine Krankheit nicht wegreden.
Arzt: "Bei mir entsteht unweigerlich der Eindruck, dass Sie sich gar nicht helfen lassen wollen!" Ich: "Wissen Sie was? Bei mir entsteht unweigerlich der Eindruck, dass Sie auch nicht das geringste Interesse daran haben, mir zu helfen, sonst würden Sie mich wohl nicht so anfahren! Ihnen ist es doch sch…egal, wie ich mich fühle!"
Achtung! Wenn Ihnen dieser Artikel während eines unliebsamen stationären Aufenthaltes in die Hände gefallen sein sollte, und Sie den größten Teil Ihres Aufenthaltes noch vor sich haben: Nehmen Sie den Mund nicht ganz so voll – es sei denn, Sie wollen Ihre leidliche Stationierung unvermittelt abkürzen und auf direktem Wege wieder nach Hause geschickt werden. Ich habe Sie gewarnt. Aber natürlich gilt nichtsdestotrotz: niemand darf auf Ihnen herumhacken oder Sie herumschikanieren (auch nicht unter dem Decknamen BT (dazu später mehr).
Na gut, vielleicht liegt es an mir. Vielleicht bin ich eine schwierige Grundpersönlichkeit. Und wenn schon! Aber ein Mindestmaß an Respekt sollte einem schon entgegengebracht werden. Nicht so in einer psychiatrischen Anstalt.
Wissen Sie, da musste ich wöchentlich antreten, um einen rechenschaftlichen Statusbericht über meine Krankheit abzuliefern. Die Tatsache, dass sich das Ganze vor einem siebenköpfigen Tribunal abspielt, ist ja an sich schon so Furcht einflößend, dass man unter Umständen eine Panikattacke erleidet – und das ist ja nun nicht gerade genesungsfördernd!
Wenn jemand Gastritis hat, Rheuma oder Arteriosklerose, muss er dann andauernd über seine Krankheit Rechenschaft ablegen? Muss er ständig drüber reden? Muss er ständig über mögliche Auslöser diskutieren? Muss er in Kindheitstraumata herumstochern? Nein. Muss er nicht. Nein, so jemand wird in Ruhe gelassen. Aber wir nicht. Was ist an uns so anders? Ich möchte Ihnen einfach nochmals in Erinnerung rufen, dass unsere Krankheit vom zentralen Nervensystem aus gesteuert wird (was ein Nervenarzt tausendmal besser wissen sollte als ich). Es liegt also an unserem Gehirn – und nicht an unserer Kindheit.
Mit vorwurfsvollem Ton in der Stimme und bösem Funkeln in den Augen musste ich mich also beim wöchentlichen Appell vor dem Tribunal anschnauzen lassen: "Geht's Ihnen immer noch besser?!?!" Patientin: "Entschuldigung, habe ich etwas verbrochen?" Arzt: "Nein, nicht, dass wir wüssten." Patientin: "Warum behandeln Sie mich dann wie einen Schwerverbrecher??? Wenn ich mich recht erinnere, dann stand auf dem Türschild nichts von einem Strafvollzug." Dass dieses Arztgespräch keinen erfreulichen Ausgang gefunden hat, lag einfach daran, dass man mit Vorwürfen allein absolut nicht weiterkommt. Und schon gar nicht bei einer so schwierigen Grundpersönlichkeit wie mir!
Also, liebes Klinikpersonal, auch hier gilt: Depression ist eine Krankheit und nicht ein Geisteszustand, für den man eingesperrt werden muss! Geschweige denn muss man einen Patienten mit Tranquilizern vollpumpen, so dass unfähig ist, sich gegen diese haltlosen und unverschämten Anschuldigungen zur Wehr setzen zu können. Und so eine Medikamentenabhängigkeit führt mit garantierter Sicherheit nicht dazu, wieder am normalen Leben teilzuhaben…
Bitte, wenn da Simulanten sitzen, die lieber in eine psychiatrischen Anstalt gehen als in die Arbeit, dann ist das nicht mein Problem. Also, Herrschaften, bevor Sie also das nächste Mal wieder jemanden so anschnauzen, als wäre er ein wegen Mordes zu lebenslanger Strafarbeit – pardon – zu lebenslanger BT* Verurteilter, dann beherzigen Sie bitte meine Worte.
*gängige Abkürzung für Beschäftigungstherapie (nein, Körbchenflechten hilft mir nicht dabei, mich besser zu fühlen, geschweige denn ist diese sinnlose Zeitverschwendung eine solide Grundlage für einen Wiedereinstieg ins Berufsleben)
Sie, lieber Mitpatient, sind ein wertvoller Mensch, auch wenn Sie krank sind. Bitte seien Sie sich darüber bewusst, dass Sie keinerlei Schuld an Ihrer Erkrankung tragen. Und vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie schließlich freiwillig in eine Klinik gegangen sind, um Hilfe zu erhalten, und nicht, damit man Ihnen Ihre eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt. Hilfe zu erbitten bedeutet nicht gleichzeitig, auch respektlos behandelt werden zu dürfen. Erbitten Sie sich also auch Respekt. Ein respektvoller und verständnisvoller Umgang mit einem Patienten ist das Mindeste, was Sie erwarten können.
Nicht, was andere über Sie sagen, ist entscheidend. Nicht, was andere über Sie denken, ist entscheidend. Nicht, wie andere über Sie urteilen, ist entscheidend. Entscheidend ist einzig und allein, dass Sie zu sich selbst stehen. Nur das ist wichtig. Hören Sie immer nur auf sich selbst, auf Ihren Bauch, auf Ihre Intuition. Sie wird wissen, was richtig und gut für Sie ist und was nicht. Und nur das allein zählt.
Und bitte vergessen Sie eines nicht: Sie dürfen immer und ausnahmslos zu Ihrer Krankheit stehen und Sie brauchen Ihre Krankheit nicht länger zu verstecken, nur, weil sie von der Gesellschaft noch immer tabuisiert wird. Sie sind wie ich und ca. vier Millionen andere Menschen auf diesem Planeten stigmatized. Im Gegenteil: bekennen Sie sich zu dem Stigma 'Depression' und zeigen Sie damit allen Menschen, dass die Zeiten, in denen man sich für eine psychische Krankheit zu schämen brauchte, nun endgültig vorbei sind. Sie haben es geschafft, zu Ihrer Krankheit zu stehen. Sie haben es geschafft, zu sich selbst zu stehen. Und darauf können Sie stolz sein! Sie selbst sind doch das Wichtigste in Ihrem Leben. Und das ist alles, was zählt.
Hinweis ans Klinikpersonal: bevor Sie auch nur einen Gedanken daran verschwenden, mich wegen übler Nachrede zu verklagen zu wollen – denken Sie bitte erst einmal mit der notwendigen Objektivität darüber nach, ob mein Entlassungsbericht tatsächlich auch nur vage etwas mit meiner Realität zu tun hat…
1 Kommentar
Nur weil Sie gerne Autismus diagnostiziert hätten, heißt das nicht dass Sie es haben. Wenn die Ärtzte das von vornherein ablehnen, wird an Ihren paar Anzeichen nichts dran sein. Es gehört etwas mehr zu Autismus als ein paar Anzeichen und nur weil Therapien und Tabletten nichts bringen sagt das noch lang nichts aus, auch über 20 Jahre. Wenn Ihr Wissen natürlich umfangreicher ist als das Ihrer Ärzte der letzten 20 Jahre, empfehle ich Ihnen selbst Medizin zu Studieren und Arzt zu werden, vielleicht hilft Ihnen hier sogar Ihr "Autismus".